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07.08.2003
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Computer
  "Auch mal gemeinsam
in den See hüpfen"
 
  Chaos-Club-Sprecher Müller-Maguhn über das Hacker-Camp bei Berlin
 
  Zum zweiten Mal trommelt der Chaos Computer Club Hacker aus aller Welt zu einem Zeltlager vor den Toren Berlins zusammen. "Wir sind ja alle vernetzt und kommunizieren miteinander. Da ist es einfach schön, sich mal live kennen zu lernen", sagt Sprecher Andy Müller-Maguhn. Aber es darf auch gehackt werden.
 
 
 
  heute.online: Der Chaos Computer Club lädt zum zweiten Mal auf der grünen Wiese zum Zelten ein. Was treibt die Hacker auf's Land?
  Müller-Maguhn: Das hat mittlerweile schon Tradition. Die Holländer haben damit zuerst angefangen - die haben die Camping-Kultur viel mehr in ihrem "mindset" drin. Alle zwei Jahre findet ein europaweites Hacker-Camp statt. Wir wechseln uns mit den Holländern ab. Das erste haben wir vor vier Jahren gemacht.
  Mit dem Camp wollen wir unseren ganzheitlichen Anspruch zum Ausdruck bringen. Das ermöglicht eine Festival-Atmosphäre eben viel eher als eine Kongress-Umgebung. Die Leute leben im Camp zusammen, kochen, diskutieren oder springen zwischendurch mal in den Badesee. Viele bringen auch ihre Familien mit, Frau und Kind, soweit vorhanden.
 
  Das Camp ist in "Dörfer" aufgeteilt, wo sich die Leute mit gemeinsamen Interessen zusammenfinden. Daneben gibt es einen Konferenz-Teil, der von zwölf Uhr mittags bis Mitternacht geht. Bei den Temperaturen verlegen wir das ganze vielleicht sogar noch weiter in die Nacht hinein.
  heute.online: Die Leute bringen Frau und Kind mit - das klingt immer noch nach einer reinen Männer-Szene?
  Müller-Maguhn: Natürlich haben wir mittlerweile auch viele "Haecksen", die Mann und Kind mitbringen. Wir können immerhin schon auf ernsthafte 20 Prozent Frauen verweisen - ist schon fast ein gesundes Verhältnis (lacht). Unter den heute 15- bis 20-Jährigen gibt es viele technisch interessierte Frauen. Da hat sich in den letzten zehn Jahren was geändert.
  heute.online: Wie viele Leute erwartet Ihr?
  Müller-Maguhn: Online hatten sich bis Montag schon 1300 Teilnehmer angemeldet. Normalerweise registrieren sich nur halb so viele, wie letztlich auftauchen. Das heißt, es könnten sogar 2500 Leute werden. Viele Italiener, Schweizer, Österreicher und Holländer kommen. Auch aus den USA stehen schon um die 30 Leute auf der Liste. Es ist ein internationales Festival. Deswegen machen wir das gesamte Programm auf Englisch.
  heute.online: Wie bringt man über 2000 Hacker auf der Weide ans Netz?
  Müller-Maguhn: Auf dem Gelände steht ein Sendemast, der die Verbindung ins Internet herstellt. Die Gesamtgeschwindigkeit ins Netz beträgt 155MBit/s. Ein Hacker-Fest auf der Wiese kostet einen Haufen Kohle. Die Technikaufbau ist aufwändig, und der Stromverbrauch ist hoch, vor allem bei den heißen Temperaturen im Moment. Wir hauen bestimmt zwischen 100.000 und 200.000 Euro auf den Kopf. Bei unserem ersten Camp haben wir hohe Verluste gemacht.
  heute.online: Ist das Camp nur was für Insider?
  Müller-Maguhn: Vom Konzept her richtet sich die Veranstaltung an Leute, die vier Tage bleiben und das Camp als gemeinsames Erlebnis sehen. Also schon eher für diejenigen, die in der Szene verwurzelt sind. Wir sind ja alle vernetzt und kommunizieren miteinander. Da ist es einfach schön, sich mal live kennen zu lernen. Und in einem Festival-Rahmen macht das einfach mehr Spaß. Da kann man zusammen kochen, essen und auch mal gemeinsam in den See hüpfen.
 
 
  Andy Müller-Maguhn
Der 31-jährige gebürtige Hamburger hat bereits als Teenager angefangen, Computer-Codes zu knacken. Er baute den Chaos Computer Club (CCC) mit auf, dessen Sprecher er heute ist. Müller-Maguhn lebt in Berlin. Der Informatiker verdient seinen Lebensunterhalt als Fachjournalist und Berater für Sicherheitsfragen.

Von November 2000 bis Juli 2003 gehörte er als "Direktor für Europa" dem Vorstand der Internet-Aufsichtsbehörde ICANN an. Müller-Maguhn tritt vehement für ein freies Internet ein. Statt zur Zensur zu greifen, müsse die Medienkompetenz der Menschen gestärkt werden.
 

  Wir bieten auch Tageskarten an für Leute, die sich nur für den Konferenzteil interessieren. Aber das Programm ist insgesamt technikorientierter als beim Kongress in Berlin im letzten Jahr, wo stärker die gesellschaftlichen Konsequenzen der Technik im Vordergrund standen. Insgesamt ist es schon eher eine Veranstaltung innerhalb der Szene.
  heute.online: Was sind denn die Hauptthemen in diesem Jahr?
  Müller-Maguhn: Es geht natürlich viel um technische "Updates". Ein Schwerpunkt ist der neue Standard für Adressen im Internet, die so genannte IPV6-Technik. Auch die aktuelle Sicherheitsdiskussion im Zusammenhang mit den Folgen des 11. September wird Thema sein. Hier spielt die Diskussion um biometrische Daten und die ganze Überwachungstechnologie eine Rolle.
  Natürlich geht es auch um die gesellschaftliche Verantwortung, die wir bei der Anwendung solcher Technologien haben, aber alles in allem überwiegen doch technische Fragestellungen.
  heute.online: Du hast ja bis vor knapp einem Monat noch im US-Internet-Gremium ICANN die europäischen Interessen vertreten. Was sind denn die europäischen Interessen, und spiegelt sich das im Camp wider?
  Müller-Maguhn: Da sind zunächst die Abhängigkeiten gegenüber der amerikanischen Rechtsprechung und die technologischen Abhängigkeiten. Die zentralen Server liegen in den USA. Das war bisher eine technische Tatsache. Doch jetzt liegen die Nerven blank, besonders nach den jüngsten US-amerikanischen Machtgelüsten. Das rückt die Diskussion um europäische Server wieder stärker in den Vordergrund.
  Im Camp spiegelt sich das wider und zieht sich wie ein roter Faden durch die Themen. Es darf überhaupt keine Regierung geben, die überproportional Einfluss auf Datenströme hat. Viele der technischen Diskussionen drehen sich um diese Frage. Auch beim amerikanischen Navigationssystem GPS und seinem europäischen Konkurrenten Galileo geht es genau darum.
  heute.online: Bei einem der Hacker-Kongresse in Berlin hatte ein Teilnehmer die Internetseite der Polizeigewerkschaft für einige Stunden umgestaltet, und damit mal wieder gezeigt, wie es um die Sicherheit im Netz bestellt ist. Was ist denn dieses Mal zu erwarten?
  Müller-Maguhn: Es wird natürlich wieder Wettbewerbe geben, die darauf abzielen, Systeme zu überlisten. Das hat was Sportliches und ist ganz klar Teil des Camps. Dieses Mal wird es viel um Sicherheitslücken bei Open-Source-Software gehen, wie etwa um Linux. Aber da gibt es in der Szene unterschiedliche "religiöse Strömungen". Das will ich hier lieber nicht vertiefen.
 

   
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