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Naturidyll mit Netzanschluss Der Chaos Computer Club lädt zum alljährlichen Camp und Festplatten-Weitwurf vor die Tore von Berlin
Von Martina Wagner
„Genug
Strom für alle und Ethernet für jedes Zelt“, verspricht die
Vorankündigung. Vom 7. bis 10. August richtet der Chaos Computer Club
Berlin (CCC) wieder sein Camp in Altlandsberg bei Berlin aus. Bereits
zum zweiten Mal findet diese Open-Air-Veranstaltung statt, die ganz in
der Tradition von Hacking in Progress (HIP) steht, dem legendären
Sommer- Hackertreff in Holland.
Im Gepäck der Camp-Besucher
wird sich nicht nur Computerzubehör finden, auch Zelte und
Camping-Equipment sind dabei. Darüber hinaus steht der Zeltstadt alles
zur Verfügung, was das Hacker-Herz begehrt: Strom, Internet, Essen und
ausreichend sanitäre Einrichtungen. Es sind mehr als 23 Kilometer
Stromleitungen verlegt worden und ein 18 Meter hoher Sendemast liefert
die Internet-Anbindung. Das Chaos Communication Camp wird über eine
Funkstrecke mit 150 MBit/s an das Internet angebunden sein. Die
Gesamtkosten liegen bei 150 000 Euro. Es werden über 1042 Gäste aus
aller Welt zum Naturidyll mit Netzanschluss erwartet.
Soziales Hacken
Auch
weibliche Hacker, die „Haeksen“, haben dieses Mal ein Chill-Zelt mit
eigenem Programm, wobei es mehr um das so genannte „Social Hacking“
(Infos austauschen), „Networking“ (Kontakte) und vor allem um
Kreativität im Umgang mit der Technik geht. Doch nicht nur Hacker
werden erwartet (es gibt sogar ein Kinder Chaos Camp), sondern auch
Menschen aus dem IT-Business-Umfeld. „Alle Geheimdienste, die etwas auf
sich halten, schicken da jemanden hin. Nicht nur, um auf dem neuesten
Stand der technischen Entwicklung zu sein, sondern um zu
identifizieren, wer die entscheidenden Leute sind“, sagt Andy
Müller-Maguhn, Sprecher des Chaos Computer Clubs (CCC).
Man
schätzt die Kompetenz des CCC und deren Referenten auch an offizieller
Stelle. Der deutsche Hackerverein genießt mittlerweile einen
hervorragenden Ruf, weswegen seine Mitglieder immer wieder als Experten
hinzugezogen werden.
Der Hamburger Hacker Peter Franck wurde
so zum Uno-Waffeninspektor vom Auswärtigen Amt ernannt, wo der
Vorsitzende des Chaos Computer Clubs kein Unbekannter mehr war. Trotz
herber Kritik an dieser „Show für das US-Publikum (so Franck in einem
Interview), die den Krieg nicht verhindern konnte, ist es dem CCC
wichtig, an offizieller Stelle mitzureden. Immerhin war Andy
Müller-Maguhn einer der für Europa gewählten Direktoren des ICANN (der
so genannten „Internet-Regierung“, bei der es hauptsächlich um die
Organisation des Domain-Namen-Systems ging), und konnte so einige
wichtige Reform-Punkte einbringen. Doch daran, dass es nach seiner
Amtszeit keinen von Nutzern gewählten Direktor mehr geben wird, konnte
der CCC-Aktivist nichts ändern.
Dafür hat Müller-Maguhn dort
ein neues Komitee gebildet und wendet sich nun gegen den zunehmenden
Einfluss der „Marken- und Urheberrechtsindustrie“. Es müssten
diskursive Freiräume erhalten bleiben, sonst drohe die „vollständige
Kommerzialisierung des Internets“, warnt Müller-Maguhn.
Neben
zahlreichen Workshops darf auch eine „Message“ an das Computer-Volk
nicht fehlen. In seiner Satzung schreibt der CCC: „Die Entwicklung zur
Informationsgesellschaft erfordert ein neues Menschenrecht auf
weltweite, ungehinderte Kommunikation.“ Nach dem 11. September, dem
Angriff auf den Irak und den damit verbundenen verschärften
Sicherheitsbestimmungen und Restriktionen, hat auch das CC Camp auf der
Pferdeweide eine dezidierte Meinung zu diesen Themen.
Auf drei
Conference-Tracks können die Teilnehmer ihren Horizont auf den Gebieten
der IT-Sicherheit erweitern. Auf dem Themenplan des Konferenzprogramms
stehen unter anderem Kopierschutz-Systeme und ihre Auswirkungen auf
Open-Source-Software sowie aktuelle Sicherheits- und
Überwachungstechniken. Es gibt Workshops zu „Spam blocking“, der Abwehr
von unerwünschter E-Mail-Werbung; aber auch die politischen Aspekte von
Kryptoregulierung, Open-Source-Ansätzen und das aktuelle Urheberrecht
werden im Vordergrund stehen.
Haupt- und Reizthema für Andy
Müller- Maguhn ist der Plan der US-Industrie, alle Computer mit einer
digitalen Verschlüsselungs- und Signierungseinheit zu versehen und
deren Schlüssel vor den Usern verborgen zu halten. „Da dies noch in der
Entwicklung ist, gibt es auch noch Einflussmöglichkeiten“, sagt der
CCC-Sprecher. Das andere Thema ist der 11. September, der sich wie ein
roter Faden durch die CCC-Arbeit zieht.
Operation 11. September
Die
Veranstaltung „Operation September 11th – Analysing Virtual Reality“
mit Matthias Bröckers und Gerhard Wisnewski ist einer der Höhepunkte
des Camps. Das gerade veröffentlichte Buch sorgte mit seinen brisanten
Insider-Informationen über die US-amerikanischen Verflechtungen und
technischen Facts bereits für einige Diskussionen in der
Öffentlichkeit.
Workshops und Wettbewerbe (wie zum Beispiel
ein Festplatten-Weitwurf) sollen Gelegenheit bieten, viele Leute kennen
zu lernen. Laut CCC-Sprecher sind alle herzlich willkommen – „außer
Tony Blair und George W. Bush“. Auch für die Pressevertreter gibt es
strenge Auflagen, um eine entspannte und druckfreie
Hacker-Urlaubsatmosphäre zu genießen.
Die Tageskarte (gültig von 10 bis 2 Uhr) kostet 20 Euro, eine 4-Tage-Dauerkarte inklusive Camping 100 Euro. Infos: www.ccc.de/camp/2003/index.en.html.
Anfahrt: mit dem Shuttle-Bus S-Bahnhof Fredersdorf oder mit dem Auto: A 10, Altlandsberg, Paulshof
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